Orgelanlage der Hauptkirche St. Michaelis
Vier auf einen Streich
Von der Krypta bis zum Dachboden: Im Michel sind fast überall Orgeln zu finden. Gleich vier Instrumente sorgen für einzigartige Klangerlebnisse. Sie sind Teil einer großen Tradition: Schon seit dem 18. Jahrhundert verfügt die Kirche über herausragende Orgeln.
Die Große Orgel auf der Westempore ist ein Neubau der weltweit bekannten Werkstätte G. F. Steinmeyer & Co. (Oettingen in Bayern) von 1962. Steinmeyer entwarf eine Großorgel, die für ein stilistisch breit angelegtes Orgelrepertoire einsetzbar ist. Der Prospekt fügt sich homogen in den lichten barocken Raum von Johann Leonhard Prey und Ernst Georg Sonnin ein. Das Instrument wurde im Rahmen der Arbeiten 2009–2010 technisch komplett überholt. Die Spieltraktur (die Verbindung von den Tasten zu den einzelnen Tonventilen) wurde weitgehend neu gebaut. Durch die stabilisierte Windversorgung und eine sorgfältige Nachintonation konnte etwas heute nicht Selbstverständliches erreicht werden: Die klangliche Intention von 1962 blieb komplett erhalten, kommt nun aber erst richtig in ihrer Schönheit und Differenziertheit zur Entfaltung. Trotz der beachtlichen Größe strahlt das Instrument noble Eleganz und Wärme aus.
Um auch die sinfonischen Aufführungen mit Chor und Orchester adäquat begleiten zu können, wurde 1914 auf der Nordempore die Konzert-Orgel aufgestellt. Das stattliche Instrument mit 41 Registern lieferte die Firma Marcussen & Søn aus Apenrade. Wie die Orchester der Spätromantik verfügt es vornehmlich über sonore Klangfarben in feinen dynamischen Abstufungen.
Durch den Umbau und die stilistisch ungeschickten Erweiterungen in den 1950er Jahren waren technische Bauteile und das Pfeifenwerk entscheidend verändert und in der Orgel verstellt worden. Wie bei einem Puzzle mussten im Zuge der Sanierungsmaßnahmen 2009/2010 durch die Firma Klais die ursprünglichen Positionen der mehr als 2000 Pfeifen ermittelt werden. So konnte man das hochromantische Klangbild dieser Orgel, mit seinen orchestralen Farben, dem großen Fundus an differenzierten Flöten- und Streicherstimmen, wiedergewinnen. Charakteristika sind der grundtönige Klang, die dynamische Elastizität sowie die Lebendigkeit der schmetternden Zungenstimmen und der überblasenden Flöten.
Das Fernwerk befindet sich auf dem Dachboden. Über einen etwa zwanzig Meter langen Schallkanal werden die Töne zur Deckenrosette (Schallloch) in der Mitte der Kirchendecke in 27 Meter Höhe geführt. Die Deckenrosette wurde nach Originalplänen von 1910 nachgebaut. Besonderheiten sind das Hochdruck-Werk und eine sogenannte Regenmaschine, eine Trommel mit Kieselsteinen, die ein Geräusch von prasselndem Regen erzeugt.
Das Fernwerk ist ausschließlich vom Zentralspieltisch aus anspielbar. Von dem 2009 gebauten Zentralspieltisch können darüber hinaus die Große Orgel und die Konzert-Orgel gespielt werden. Eingebaut ist auch eine Computeranlage für die Speicherung von Registrierungen. Beweglich platziert auf der Nordempore hat der Spieltisch die optimale Position, um die Balance aller Komponenten des neuen Ensembles zu kontrollieren und den meisten Hörern den Blick auf den Organisten zu ermöglichen.
Die Intonation aller drei Teilorgeln ist so sorgsam abgestimmt, dass im Kirchenraum nicht immer erkennbar ist, welches Register welcher Orgel gerade angespielt wird. Garantiert ist jedoch stets ein überwältigendes Raumerlebnis.
Die Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Orgel wurde 2010 von der Firma Freiburger Orgelbau Hartwig und Tilmann Späth gebaut. Das kleine Instrument auf der Südempore ist ein ergänzender Bestandteil des Ensembles der Orgeln im Michel. Sie ist Solo- und Begleitinstrument für kammermusikalisch angelegte ältere Werke, ohne eine reine Stilkopie zu sein. Gewidmet ist diese Orgel Carl Philipp Emanuel Bach, der in Hamburg wirkte und dessen Grabmal in der Krypta des Michel zu sehen ist.
Zusammen haben die Orgeln des Michel mehr als 10.000 Pfeifen. Hören kann man einige davon zum Beispiel jeden Tag in der Mittagsandacht um 12 Uhr.
Text: Hans-Jürgen Wulf