Von Spitzbuben und Schallplatten
Bei einem Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg hatte auch die Orgel von St. Michaelis schweren Schaden genommen. Das gesamte Gehäuse war aus seiner Verankerung herausgerissen und gut zwei Meter nach vorne gerückt worden. Zwar wurde das Innenleben auf Anordnung der Baupolizei entfernt und im Kirchturm zwischengelagert. Weil aber das Kirchendach erst nach Kriegsende wieder instand gesetzt werden konnte, nahmen andere empfindliche Teile der Orgel durch die Witterungsverhältnisse schweren Schaden. Weitere Stücke fanden in der Nachkriegszeit wohl ihre Liebhaber: Sie wurden gestohlen.
Nach 1945 war verständlicherweise gar nicht an die Instandsetzung der Orgel der Michaeliskirche zu denken. Erst Mitte der fünfziger Jahre stellte man erste Überlegungen dazu an. Wiederherstellung oder Neubau: Daran schieden sich die Geister. Nach heftigen Diskussionen setzte sich Friedrich Bihn, Orgelsachverständiger der Hamburgischen Landeskirche und zugleich Kirchenmusikdirektor von St. Michaelis, durch. Die Firma G.F. Steinmeyer & Co. aus dem bayerischen Oettingen wurde ausgewählt, eine neue Orgel für St. Michaelis zu liefern. Ihr Klang sollte schon vor der Anfertigung der ersten Pfeife feststehen. Zu diesem Zweck wurde eine Lautsprecheranlage auf der Empore aufgestellt, um Schallplattenaufnahmen von verschiedenen Orgeln abzuspielen. Die Entscheidung war wenig später getroffen. Man gab eine Orgel in Auftrag, die klanglich möglichst nahe an der im Zweiten Weltkrieg ebenfalls zerstörten Silbermann-Orgel der Frauenkirche zu Dresden liegen sollte. Am 19. Oktober 1962 war es so weit. Der Michel hatte wieder eine große Orgel – diesmal mit 6.665 Pfeifen und 85 Stimmen.
Neben der großen Orgel besitzt die St. Michaeliskirche heute noch die Konzertorgel auf der Nordempore aus dem Jahr 1912. Grund für ihre Anschaffung war, dass auf der Hauptorgelempore der Platz für Konzerte mit mehreren Hundert Beteiligten (Sängern und Musikern) nicht zur Verfügung stand. Vor dem Brand der Kirche von 1906 hatte man sich noch mit einer provisorisch aufgestellten Orgel auf der Nordempore beholfen.
Text: Joachim W. Frank