Charles Burney
Ein Orgelspaziergang im Jahr 1772
Als der Musikalische Weltreisende Charles Burney im Jahre 1772 Hamburg besuchte, war es für den Musikdirektor der Stadt Ehrensache, den Schriftsteller in Sachen Musik höchstselbst durch die Stadt zu geleiten und ihn in die ganz eigene Welt der großen norddeutschen Tastenwunderwerke einzuführen. Obwohl er von seinem Vater einstmals auf der Orgel unterrichtet worden war, vermeidet es der an Gicht leidende Carl Philipp Emanuel Bach inzwischen aber, selbst auf der Orgel vorzuspielen. Er bestellt einige Organisten ein. Für alle ist es Ehrensache Burney ihre Kunst zu zeigen. Bekannt ist ja, dass er darüber schreiben wird!
In England waren solche riesenhafte Instrumente mit einem so umfangreichen und tiefen Pedal absolut unbekannt. Mehrfach erwähnte Burney die berühmten Hamburger 32-Fuß-Register als damals tiefstmöglichste Klangfarben. Ein Händel spielte seine so berühmten Orgelkonzerte in den Pausen großer Operndarbietungen zur Belustigung seiner Zuhörer allein auf einem Manual. Unvorstellbar für Orgelkonzerte in Hamburg. Hier wurde seit Anfang des 17. Jahrhunderts eine der ausgefeiltesten instrumentalen Kunstformen überhaupt gepflegt, die zum großen Teil auf der Improvisation beruhten – also auf dem genialischen Können eines musikalischen Solitärs in luftiger Höhe – versteckt hinter einem kunstvoll geschnitzten Rückpositiv. Hier kamen Traditionen aus den Niederlanden, aus Italien und Frankreich zusammen, ganz so, wie es sich für eine Hansestadt gehört. Hamburg und Lübeck waren Ende des 17. Jahrhunderts zum Pilgerort der Orgelkunst geworden.
1772 sah das anders aus. Denn wie bei Ebbe und Flut wechseln sich auch Musikmoden gelegentlich ab. Die Schnitger- und Scherer-Orgeln sind noch da. Die Organisten-Schwergewichte indes kaum noch, wie auf dem berühmten Hamburger Orgelspaziergang von Bach & Burney beschrieben wird:
„Er that mir das Anerbieten, mich nach einer jeden Kirche in Hamburg zu führen, worin nur eine gute Orgel zu finden; er wollte einige alte und seltne Sachen für mich aufsuchen, und sagte mir beym Weggehen, es würde Morgen eine armselige Musik von seiner Komposition aufgeführt werden, die er mir riethe, nicht anzuhören. Sein spaßhafter Ton entfernte gleich allen Zwang, ohne mir die Achtung und Ehrerbietung zu benehmen, die mir seine Werke schon in der Entfernung eingeflößt hatten.
(…)
Nach diesem Besuche brachte mich Herr Bach nach der Catharinen Kirche, woselbst ich eine schöne Musik von seiner Komposition hörte, die aber für die grosse Kirche zu schwach besetzt war, und die auch von der Versammlung zu unaufmerksam angehört wurde. Dieser Mann war ohne Zweifel gebohren, für grosse und stark besetzte Orchester von sehr geschickten Spielern, und für ein sehr feines Auditorium zu komponiren. Itzt scheint er nicht völlig in seinem Elemente zu leben. In einer jeden Stadt oder in jedem Lande, wo die Künste kultivirt werden, haben solche ihre Ebbe und Fluth, und in diesem Betracht ist der gegenwärtige Zeitpunkt für Hamburg nicht der glänzendste.
Auf dem Wege von der Kirche nach seinem Hause hatten wir ein Gespräch, das für mich sehr interessant war. Unter andern sagte er: „Wenn auch die Hamburger nicht alle so grosse Kenner und Liebhaber der Musik sind, als Sie und ich es wünschen möchten: so sind dagegen die meisten sehr gutherzige und umgängliche Personen, mit denen man ein angenehmes und vergnügtes Leben führen kann; und ich bin mit meiner gegenwärtigen Situation sehr zufrieden; freylich möchte ich mich zuweilen ein wenig schämen, wenn ein Mann von Geschmack und Einsicht zu uns kommt, der eine bessre musikalische Bewirthung verdiente, als womit wir ihm aufwarten können.“
Dienstag, den 13. Diesen Vormittag brachte ich ganz damit zu, Kirchen zu besehen und Orgeln zu hören, und Herr Bach war so gütig, mich herum zu führen. Das erste Werk, das wir hörten, war die Orgel in der neuen Michaliskirche, welches ein Geschmackvolles und prächtiges Gebäude ist. Der bekannte Legationsrath Mattheson, vemachte alles sein Vermögen an diese Kirche, mit der Bedigung, daß dafür eine Orgel, nach dem Plane, den er in seinem Testamente davon angegeben, gebauet werden sollte. Sie ist erst seit kurzem fertig geworden und ist nach meiner Meinung die grösseste und vollständigste in Europa Sie kostet an 47000 Mark. Herr Hildebrand hat sie gebauet. Er ist ein zweyunddreissigfüssiges Werk; hat drey Manuale die oben bis ins hohe G gehen, und das Pedal geht herunter bis ins doppelte C. Die Claves sind mit Perlemutter und Schildpatt belegt. Die Einfassung ist reich an Zierrathen, die mir aber nicht nach den besten Geschmack vorkommen. (…)
Herr Hartmann, ein Musikliebhaber [Burney untertreibt, er war schon professionell] hatte die Gefälligkeit, dieses Instrument ziemlich lange zu bespielen (…) Herr Bach hat in so langer Zeit nicht mehr auf der Orgel gespielt, daß er sagt, er wisse nichts mehr auf dem Pedal zu machen, welches durch ganz Deutschland für so wesentlich nothwendig gehalten wird, daß man den für keinen guten Organisten achtet, der es nicht zu gebrauchen weiß. (…)
Hamburg hat nicht weniger als fünf zweyunddreissigfüssige Orgeln: Drey darunter sind von Splitger (der Engländer Burney und seine Übersetzer kannten den Namen Schnitgers nicht mehr!) gegen das Ende des vorigen Harhunderts gebauet, welche sowoh im vollen Werke, als an schön klingenden Registern vortrefflich sind. Diese befinden sich in der Jacobi- der Nicolai- und Johanniskirche.
Die Orgel in der Sanct Peterskirche ist die älteste in der Stadt; man weiß nicht, wann sie zuerst gebauet ist; das aber weiß man, daß die beyden letzten manurale, (sie hat viere) zu Herzogenbusch 1548 von Meister Nargenhost, gemacht, und zu Wasser hierher geschickt sind. (…)
Text: Christine Blanken